Eduard Seidler



Preface

Pediatricians - victims of persecution  1933 - 1945

With this investigation a special medical field confronts its past under the National Socialist dictatorship. It complies with a request made in 1995 by the executive board and the membership committee of the German Society for Pediatrics and Adolescent Medicine to draw up a documentary report of as many collegues as possible who had been persecuted, expelled from their homeland, or murdered after 1933. As far as the facts still could be determined, it was our goal to reconstruct the biographies of the individual fates of these victims.

Fifty years after war's end, this assignment has come late. There is no adequate answer to the justified question demanding the reason for this delay. It manifests the collective suppression that for many years has characterized German post-war history. But our report was not too late: encounters with victims and their descendents have taught us that what happened under National Socialism has remained painfully present in their memories as if it had occured only yesterday. For them it was additionally important to ensure that those who were trying to reconstruct the victim's fates were not the same people who had inflicted such misery on them and expelled their mothers and fathers from the community.

Over half of all doctors working in the field of pediatrics in 1933 were affected. The regime stripped them of their profession, their title, their way of life, their dignity and in quite a few cases even took their lives. We did not want merely to present a list of numerical facts but to name and, when possible, report on the victims. Thus, our aim was to create more than a reference book; the texts strewn in - witness reports, letters, memories - should represent a small aspect of the reality of each individual victim.

In 2000 a first edition of this documentation (Bouvier Verlag Bonn) met with a wide response. The reactions to this edition have reinforced the necessity of such an endeavor and have confirmed its inevitable imperfection. Even today additions, corrections, and explanatory notes continue to arrive from all over the world concerning those whose dates or fates were only incompletely documented or unknown until now.

It is not only the ever smaller group of eyewitnesses, whose need for a just recollection remains undiminished; but members of the second and third generation have also clearly indicated that the lives of their families have been influenced by what happened under the Nazi regime. Most especially, we owe it to their mostly spontaneous reactions that we were able to continue our work and produce this new and newly adapted version.

Aside from this sometimes very personal exchange, several new databanks, research results, and commemorative literature were also available for use. More than 120 corrections are incorporated into this edition, some simply modifying dates and sources, while others are completely new entries of pediatricians, who were unknown until now. It is especially tragic to report that the number of deported colleagues increased from 71 to 91 persons, of whom 76 were murdered or died by other means in the concentration camps. This figure represents one-tenth of the 794 persons persecuted. 505 persons were able to emigrate or flee, we found them in 39 states or countries. While the number of resolved histories could be raised to 718, there still remain 37 names concerning which we have little or no information.

Our original concern is unaltered: we remain committed to the remembrance of our former pediatric colleagues. In the past few years, the initial results of our work have been the subject of various events and rounds of discussion. The German Society of  Pediatrics andAdolescent Medicine maintains an active supportive interest in the work of its Historical Commission. A new institution in Berlin, the Archive for Pediatrics and Adolescent Medicine, collects the relevant material.

S. Karger in Freiburg/Germany took over the publication of the new edition. The publishing house is historically connected with the project, as it continued to publish the German “Jahrbuch für Kinderheilkunde” under the name Annales Paediatrici after its emigration to Switzerland in 1938. It was due to this magazine that Jewish emigrants had the opportunity to publish articles in their German mother tongue from 1938 to 1945.

Only the memory preserves the identity of those fellow men and women whose lives were once considered worthless enough to exterminate. Only by reminding ourselves may we help to bring about a reconciliation. Each name in this book stands for an individual whose life was unique. It remains the duty of present and future generations of German pediatricians  to deal with the burden of their collegues' atrocious past in order to prevent its being forgotten or suppressed.

Freiburg i.Br., June 2014                                                                        Eduard Seidler

Vorwort

Jüdische Kinderärzte 1933  -  1945. entrechtet – geflohen - ermordet

Mit dieser Untersuchung stellt sich eine medizinische Fachdisziplin ihrer Vergangenheit in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Sie entspricht damit dem 1995 erteilten Auftrag des Vorstandes und der Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, eine Dokumentation möglichst aller nach 1933 verfolgten, aus dem Land getriebenen und ermordeten Kolleginnen und Kollegen zu erstellen. Soweit noch feststellbar, sollte eine biographische Rekonstruktion der Einzelschicksale versucht werden.

Dieser Auftrag kam - fünfzig Jahre nach Kriegsende - spät. Eine entschuldbare Antwort auf die berechtigte Frage nach dem Grund kann es nicht geben; sie gehört in den Bereich der kollektiven Verdrängung, die lange Jahre der deutschen Nachkriegsgeschichte geprägt hat. Er kam aber nicht zu spät - die Begegnung mit Betroffenen und ihren Nachfahren hat uns gelehrt, daß das damalige Geschehen so schmerzlich gegenwärtig geblieben ist, als sei es gestern geschehen. Auch wollten sie sicher sein, daß diejenigen, die jetzt ihre Schicksale rekonstruieren wollen, nicht mehr diejenigen sind, die sie, ihre Mütter und Väter aus der Gemeinschaft ausgestoßen haben.

Über die Hälfte der 1933 kinderärztlich tätigen Ärztinnen und Ärzte waren betroffen; das Regime nahm ihnen Beruf, Titel, Lebenswelt, Würde und nicht wenigen das Leben. Wir wollten sie nicht einfach nur zählen, sondern sie wieder einzeln beim Namen nennen können und - wo es noch möglich war - von ihnen berichten. Es sollte daher mehr als nur ein Nachschlagewerk erstellt werden; die eingestreuten Texte - Selbstzeugnisse, Briefe, Erinnerungen - sollen die Realität des einzelnen Betroffenseins vermitteln.

Eine erste Auflage  dieser Dokumentation im Jahre 2000 (Bouvier Verlag Bonn) fand ein breites Echo; es hat die Notwendigkeit, aber auch die Unvollkommenheit einer solchen Recherche bestätigt. Bis heute treffen aus aller Welt Ergänzungen, Korrekturen und klärende Hinweise auf jene Betroffenen ein, deren Daten oder Schicksale bisher unvollständig oder unbekannt geblieben waren.

Es ist nicht nur die immer kleiner werdende Gruppe von Zeitzeugen, deren Bedürfnis nach einer gerechten Erinnerung ungebrochen ist. Auch die Angehörigen der zweiten, auch schon der dritten Generation, geben deutlich zu erkennen, wie sehr ihre Familien von den damaligen Geschehnissen bestimmt geblieben sind. Vor allem ihren meist spontan geäußerten Reaktionen schulden wir eine Weiterführung der Arbeit und diese neue  und neu gestaltete Ausgabe.

Neben diesem, oft sehr persönlichen Austausch konnten für die jetzige Ausgabe inzwischen neu eingerichtete Datenbanken, neuere Forschungsergebnisse und Erinnerungsliteratur erfolgreich genutzt werden. Die über hundert eingearbeiteten Ergänzungen reichen von einfachen Korrekturen von Daten und Quellen bis zu kompletten Neueinträgen bisher nicht erfaßter betroffener Kinderärztinnen und Kinderärzte.

Besonders tragisch ist die Erkenntnis, daß sich die Zahl der deportierten Kolleginnen und Kollegen von 71 auf 91 Personen erhöht hat, von denen 76 ermordet wurden oder auf andere Weise in den Lagern umgekommen sind. Dies entspricht einem Zehntel der 794 Verfolgten. Emigrieren oder fliehen konnten 505 Personen in insgesamt 39 Länder, die Zahl der geklärten Schicksale hat sich auf 718 erhöht. 37 Namen bleiben noch ungeklärt.

An dem ursprünglichen Anliegen hat sich nichts geändert. Wir bleiben weiterhin in der Pflicht, unsere damaligen Kolleginnen und Kollegen in das Gedächtnis der Kinderheilkunde zurück holen. In den vergangenen Jahren sind die ersten Ergebnisse der Arbeit auf vielfachen Veranstaltungen und an zahlreichen Orten vorgetragen und diskutiert worden. Die DeutscheGesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin bewahrt ihr dringendes Interesse und fördert die Arbeit ihrer Historischen Kommission. Ein inzwischen in Berlin eingerichtetes Archiv fürKinder- und Jugendmedizin sammelt das relevante Aktenmaterial.

Der S. Karger – Verlag für Medizin und Naturwissenschaften hat die neue Gestaltung der Dokumentation übernommen. Er ist dem Projekt historisch verbunden, da er ab 1938, nach der Emigration des Verlages nach Basel, das von ihm verlegte „Jahrbuch für Kinderheilkunde“ als „Annales Paediatrici“ weitergeführt hat. Dieser Zeitschrift war es zu verdanken, daß zwischen 1938 und 1945 jüdische Emigranten die Möglichkeit hatten, in ihrer deutschen Muttersprache zu publizieren.

Nur das Gedächtnis bewahrt dem Einzelnen jene Identität, die einmal ausgelöscht werden sollte; nur die Erinnerung hilft versöhnen. Jeder Name in diesem Buch steht für einen Menschen, dessen Leben einmalig war. Die jetzigen und die kommenden Generationen der deutschen Kinderärztinnen und Kinderärzte bleiben aufgerufen, sich mit der Last dieser Vergangenheit auseinanderzusetzen, um dem weiteren Vergessen und Verdrängen entgegenzuwirken.

Freiburg i.Br., im Juni 2014                                                             Eduard Seidler